Einleitung
Máté, Tamáska - Csaba, Szabó
Es ist immer schwer, einen Titel für ein Sammelbuch zu finden. In diesem
Fall war es jedoch leicht. Budapest und Wien sind nicht nur Hauptstädte, die
nicht weit voneinander entfernt liegen, nicht nur zwei historische Metropolen,
die in der Gründerzeit mit ähnlichen städtebaulichen Strukturen ausgestattetwurden,
sondern auch Donaustädte. Die Donau als Landschaft imweiterenSinne kann hier
auf mehreren Ebenen behandelt werden: sie ist morphologische Voraussetzung,
architektonisches Element, soziale-wirtschaftliche Energie, aber auch Symbol,
Anknüpfpunkt für Erinnerungen und Identitätenund sogar Schlüsselwort im Stadtmarketing.
(Vgl. Rief-Vernay) Ein Vergleich der
Zwillingstädte im Hinblick auf ihre"Donau-Stadt-Landschaften"drängte sich also
aus mehreren Blickwinkeln auf. Die historischen, städtebaulichenund
gesellschaftlichen Parallelen derSchwesterstädte ermöglichen es,sich mit
Prozessenin der Stadt- und Landschaftsgeschichte auseinanderzusetzen und diese
Prozesse besser zu verstehen.
Das Buch "Donau - Stadt - Landschaften" ist kein Forschungsbericht,
sondern ein Anstoßzum Nachdenken. (Vgl. Winiwarter) Die hier präsentierten Aufsätze stammen aus Budapester und Wiener
Forschungsstätten, die früher zwar nur wenig oder gar nichtzusammenarbeiteten, sich
jedoch für sehr ähnliche Fragen interessierten: die Geschichte der
Donauregulierung und der Kanalisation, die Ausprägung des Stadtbildes an der
Donau, die soziale Entwicklung entlang der Bezirke direkt an der Donau. Ziel
der Herausgeberschaft war es, eine Diskussion in Gang zu bringen. Ein Anliegen
war es daher, möglichst viele Themenzu behandelnund unterschiedliche Disziplinen
zur Mitarbeit einzuladen. Um die unterschiedlichenBlickpunkte von Geschichte, Geographie,
Soziologie oder Architektur miteinander zu verknüpfen, wurden zwei Tagungen
geplant und verwirklicht. Die erste fand in Wien (Gastgeber: Institut für
Ungarische Geschichtsforschung in Wien am CollegiumHungaricum, 16.04.2014),
Die zweite in Budapest (Gastgeber:
Österreichisches Kulturforum Budapest, 23-24.01.2015) statt. Die Tagungen waren
Teil eines größeren Projektes, das die beiden Donaumetropolen Wien und Budapest
aus städtebaulichen, sozialen und historischen Blickwinkeln miteinander
vergleicht, um so Parallelen und Unterschiede in ihrer Entwicklung des 19. und 20.
Jahrhunderts herausarbeiten zu können. Die Initiatoren des Projektes waren der
Historiker CsabaSzabó (noch als Direktor des Instituts für Ungarische
Geschichtsforschung in Wien am CollegiumHungaricum, 2010-2015) und der Architektursoziologe
MátéTamáska(ELTE Universität). Die Tagungen wurdendurch eineFotoausstellung
begleitet, die 2015 und 2016 zuerst in Wien im Rahmen der Reihe "Architektur im
Ringturm" (Kurator MátéTamáska und Adolph Stiller) und dann in Budapest am
Ausstellungsort VárkertBazár(Burggarten Basar)gezeigt wurde(Kataloge dazu: Máté
Tamáska: Donaumetropolen, Wien Budapest, Stadträume der Gründerzeit, Müry
Salzmann, Salzburg 2015). Das Institut für Ungarische Geschichtsforschung in
Wien am CollegiumHungaricumplant, das Projekt weiterzuführen. Während die Ausstellung selbst ein breites Publikum ansprechen sollte, handelt
es sich bei denvorliegenden Publikationen um eine Auswahl von aktuellen
wissenschaftlichen Forschungsthemen. Die zwei Tagungen boten dabei die
Möglichkeit, Interesse zu erwecken und Problemstellungen zu schärfenoder gar,gleiche
Themen mit unterschiedlichen Ansätzen zu behandeln. (wie z. B. Kanalisation,
vgl. Gierlinger, Sipos) Die
Forscher brachten ihr eigenesInteresse mit, wodurcheinesehr lebhafte Diskussion
rund um aktuelleForschungsfragen entstand.
Der Band spiegelt damit auch die unterschiedlichen Schwerpunkte der
ungarischen und österreichischen Forschungsstätten wider. Auffallend ist
beispielsweisedie vorwiegend ästhetisch orientierte Betrachtungsweise der
Donaulandschaft in Budapest, während in Wien geomorphologische Überlegungen in
den Vordergrund treten. Ohne verallgemeinern zu wollen, kann angenommen werden,
dass dieseBesonderheitenauf die Unterschiedlichkeit der Stadtlandschaften
zurückzuführen sind. Die Donau in Budapest erwarb ab der Gründerzeit eine
starke repräsentative Funktion, die nicht mit der städtebauliche Rolle der
Donau in Wien zu vergleichen ist. (Vgl. Mezős) Die Repräsentationsfunktion der Donau in der Stadtstruktur von Budapest kann
dabei mit jener des Wiener Rings verglichen werden. Wie der Ring ist die
Budapester Donauvon großenöffentlichen Gebäuden umgeben, die fast alle auch Teil
eines ästhetisches-politisches Programms sind. Die Donau in Budapest und der
Ring in Wien sind außerdem lineare Strukturen, die die Orientierung der
Bewohner lenken.(Vgl.Szabó)Dabeisollte aber beachtet werden, dass sich die Städte ständig verändern.
So ist die Donau im heutigen Wien immer mehr zu einer Trennlinie zwischen der
historischen Stadt und den modernen Strukturen von "Trans-Danubien"geworden.(Vgl.
Hauer)
In mehreren Beiträgen taucht das Thema der geplanten Weltausstellung Wien-Budapest
(1995) auf, eine Ausstellung, die in beiden Städte direkt am Flussufer geplant war.
Die Wende-Euphorie hielt aber nicht an, womit auch der Kooperation im Hinblick
auf die Ausstellung ein Ende gesetzt war. Auf den nach
der Expo-Planung frei gewordenen Gebieten entstanden daraufhin sowohl in Wien
als auch in Budapest neue, zeitgenössische Stadtviertel direkt im Uferbereich. Auch
in den neuen Vierteln sind die unterschiedlichen städtebaulichen,
morphologischen und historischen Voraussetzungen der beiden Donau-Stadt-Landschaften
wiederzuerkennen. In der Budapester Stadtsilhouette ist die Donau das
Leitmotiv. Die alten und neuen Strukturen entlang der Donau bilden ein
Gesamtbild. In Wien dagegen ist die neue Donaustadt von
derhistorischenInnenstadt getrennt. Hochhäuserwie sie in Wien gebaut wurden,
hätten in Budapest das historische Gleichgewicht der "Donau - Stadt -
Landschaften" zerstört. Im südlichen Stadtentwicklungsgebiet von Budapestwird
an die historischen Maßstäbeangeknüpft,zumindest was die Höhe der Gebäude am
Wasser betrifft.
Dennoch gibt
es aber auch viele Parallelen. So ist beispielsweisein beiden Städten eine
Aufwertung des Ufergebietes, vor allem als Wohnbezirke, zu beobachten. (Vgl. Izsák, Halász-Váradi, Matznetter) Die Landschaftbringt dabei ein aktuell sehr wesentliches wirtschaftliches
Potenzial mit. Andere historisch wichtige Wirtschaftsformen und Funktionen der
Donau sind aber schon längst verloren gegangen. (Vgl.Géra) Ein wesentlicher Bestandteil alter Donaulandschaften
waren nicht zuletzt die Wassermühlen. Die Wassermühlen mussten allerdingsam
Ende des 19. Jahrhunderts mit Dampfmaschinen konkurrieren. (Vgl. Spitzbart-Glasl)Zudem befand sich Wien in einem starken Wettbewerb mit Budapest um den
Markt der Getreidemühlen. Das bis ins 20. Jahrhundert von der Agrarwirtschaft
geprägte Ungarn "fütterte" vor allem die Agrarunternehmen der jungen Hauptstadt
Budapest und nicht jene im fernen kaiserlichen Wien. Die sogenannte Agrarurbanisation
war eine Charakteristik der ungarischen Städte der Tiefebene. Jedoch auch die
Stadtlandschaft von Budapest war stark von der Agrarwirtschaft gekennzeichnet. (Vgl.
Gyáni) Die zentrale Markhalle, das
Zollamt, Mühlen und Lagerhäusern hatten ihren Platz direktam Ufer. Der Rückzug
der Industrie aus diesem Gebiet ist seit den dreißiger Jahren des 20.
Jahrhundertszu beobachten. Die Abwanderung der Industrie von der unmittelbaren
Donauzone hat ihre eigene Geschichte. Ein Beispiel dafürist die Abwanderung der
Brauereien an den Stadtrand von Budapest, relativ weit weg von der Donau. Dieser
Prozess war ein Anlass für den Ausbau, bzw. die Erweiterung der Kanalisation,
die heuteeine Art unsichtbare Flusslandschaft darstellt.(Vgl. Pilsitz)
Auch in Wien ist
die historische Industriezone am Fluss nicht mehr vorhanden. Industrie und
Logistik verließen die Donauzonen zugunsten von Standorten, welche für die
moderne Stadtentwicklung wichtig waren. Waren die "Donau - Stadt - Landschaften"vor
hundert Jahren noch stark von der Industrie geprägt (der Fluss als Maschine), so
gehen die heutigenBemühungen in RichtungErholung, Wohnen und Grünachsen.(Vgl. Békési, Hohensinner
-Schmid, Kolundzsija; Kerékgyártó,
Szerdahelyi-Németh) Die mit
Parkanlagen ausgestatteten Inseln von Budapest konnten dabei auch als Vorbilder
für die Wiener Stadtplanung dienen, die nach der zweiten Donauregulierung in
den siebziger und achtziger Jahren nach einer Funktion für die Donauinsel
suchte.(Vgl. Csizmadia)
Das Thema "Donau
- Stadt - Landschaften" bietet viele Ansatzpunkte zumWeiterdenken. Ein denkbarer
Weg ist ein Vergleich mit anderen Hauptstädten an der Donau wie beispielsweise
Bratislava (Pressburg) oder auch Beograd (Belgrad), deren wichtigste
Urbanisationsphasen jedoch nicht zeitgleich mitjenenvon Budapest und Wien
stattfanden. Eine weitere Möglicheit wäre, die Mittel- und Kleinstädte an der
Donau miteinzubeziehen. Auch wenn die Maßstäbe zwischen Stadt und Donau jeweilsdurchaus
unterschiedlich sein können, ergibt sich die übergeordnete Frage, ob die
Donaustädte ein allgemeingültiges Muster oder zu mindestens ähnliche Lösungen
in der Urbanisierung der Flusslandschaft aufweisen? Eine dritte Problematik
bilden die allgemeinen Parallelen in Hinsicht auf die Beziehungen zwischen Flusslandschaft
und Großstadt auf. Dieses Thema wurde in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv diskutiert.
Dervorliegende Band will diese Diskussion weiterführen.